Nachfolgend der Abschlussbericht von Marvin Meys nach der Rückkehr von seinem einjährigen USA-Aufenthalt :
Jahresbericht
Als mir beim Rotary Wochenende in Wégimont mein Zielort „Salmon, Idaho“ genannt wurde, war ich erst ziemlich enttäuscht. Ich wollte in Kalifornien oder Florida leben, Sonne und Strand
geniessen..... und jetzt sollte ich ein ganzes Jahr in einem kleinen Dorf irgendwo im nirgendwo mit Cowboys am Lagerfeuer verbringen! Na toll !! Nachdem ich die erste Enttäuschung überwunden und
mein Fernweh wieder Oberhand gewonnen hatte, beschloss ich, Idaho eine Chance zu geben.
Dann kam der Tag der Abreise. Einige meiner besten Freunde sind extra mit dem Zug zum Flughafen gekommen, um sich von mir zu verabschieden. Das hat mir sehr viel bedeutet und es hat
mir gezeigt, dass ich super Freunde habe, auf die ich mich verlassen kann. So ist mir der Abschied von Familie und Freunden dann doch schwerer gefallen, als ich gedacht hatte. Ich war
ziemlich nervös, da es das erste Mal war, dass ich alleine geflogen bin. Außerdem musste ich in Chicago, einem der größten Flughäfen der USA, umsteigen. Meine Angst, den Anschlussflug von Chicago
nach Missoula zu verpassen, war dann aber unberechtigt, da dieser wegen einer Sturmwarnung 6 Stunden Verspätung hatte und mir somit mehr als genug Zeit blieb. Zu diesem Zeitpunkt ist mir langsam
bewusst geworden, dass ich jetzt für die nächsten 11 Monate in einem fremden Land mit fremden Menschen leben würde...
Nach 28 Stunden Reisezeit bin ich dann endlich in Salmon Idaho angekommen und bei meiner Gastfamilie erstmal totmüde ins Bett gefallen. Am nächsten Morgen wäre ich am liebsten gar nicht aus
meinem Zimmer gekommen, weil ich nicht wusste, was auf mich zukommen würde. Wenn ich jetzt daran denke, kann ich darüber lachen. Für mich sind die Menschen, die ich damals begrüßt habe, nicht
mehr fremd und ich kann kaum noch verstehen, wieso ich eine solche Scheu hatte. Aber damals war es einfach nur aufregend. Meine Gasteltern und –geschwister haben mich herzlich begrüßt und
freundlich aufgenommen.
Die ersten Wochen waren richtig stressig. Es wurde eine Willkommensparty für mich organisiert und jede Menge Leute wollten mich kennenlernen. Meine Gastmutter Shannon hatte beschlossen, dass ich
American Football spielen sollte und mich zum Training angemeldet. Ich war nicht wirklich scharf darauf, weil ich den Sport und die Regeln nicht kannte und mir auch nicht zutraute mitzuspielen,
aber Shannon ließ mir keine Wahl und so ging ich ohne große Erwartung an meine Leistungen hin. Und wie sich herausstellte, war dies die beste Entscheidung meines Lebens! Der Coach setzte mich als
„Kicker“ ein und ich war von Anfang an Stammspieler. Zu Beginn kannte ich die komplizierten Regeln nicht und vor jedem Einsatz musste mein Coach mir erklären, was ich machen sollte, auf welcher
Position ich spielen sollte, usw. Das gesamte Team hat mich sofort als Freund und Mannschaftsmitglied aufgenommen und es kam mir so vor, als ob ich schon immer dazugehört hätte. Wenn das
Footballteam der Salmon Highschool spielte, war die ganze Stadt dabei und feuerte uns an. Wir haben es bis ins Halbfinale der Playoffs geschafft und ich werde die Zeit im Football-Team NIE
vergessen.
Aus dieser positiven Erfahrung heraus, habe ich versucht ein Sportstipendium an einem US College zu bekommen. Mein Coach hat mich hierbei sehr unterstützt. Ich habe einige Rückmeldungen von Unis
bekommen und eine hat mir schließlich ein Stipendium über 20 000 Dollar angeboten. Leider hätte diese Summe nur zirka die Hälfte der Studiengebühr gedeckt und somit musste ich diesen Traum
(erstmal) aufgeben.
Durch Football fand ich auch auf Anhieb sehr viele Freunde, so dass mir der erste Schultag nicht besonders schwer fiel. Da ich in einer kleinen Stadt mit 3000 Einwohnern (und 3 Stunden von der
nächsten Stadt entfernt) lebte, war ich natürlich erstmal etwas „Besonderes“ und jeder kam auf mich zu. Mir wurden die haarsträubendsten Fragen gestellt, wie z.B. „ Marvin, habt ihr auch Sterne
in Europa ?“, „Gibt es in Belgien Steaks ?“, „Wann beginnt bei Euch das neue Jahr ?“Ich finde, die Menschen in Amerika sind generell offener und freundlicher als Europäer und daher war es nicht
schwer, Freunde zu finden.
Am Ende der Footballsaison wird in den USA an der Highschool „Homecoming“ gefeiert mit dem dazugehörigen „Homecoming-Ball“. Hierzu werden von den Schülern der Abschlussklassen 3 Kandidaten für
die Homecoming-Queen und den Homecoming-King ausgesucht....und ich war einer davon ! Das war natürlich eine große Ehre für mich, weil ich ja erst knapp 3 Monate an dieser Schule war.
Meine Gastfamilien sind viel mit mir gereist und haben mir viel von Idaho und dem Rest Amerikas gezeigt. So war ich u.a. in Pittsburgh, Pennsylvania, Glacier National Park, Yellowstone
National Park und bin quer durch Montana, Idaho und Wyoming gereist. Die Natur in Idaho ist einfach überwältigend! Morgens aufzustehen und aus dem Fenster in die Berge schauen zu können, war
einfach nur toll. So wohnte ich mit meiner dritten Gastfamilie nur 20 Minuten vom Skigebiet entfernt.
Mit meiner ersten Gastfamilie bin ich auch auf Elchjagd gegangen. Mein Gastvater und ich haben einen Elch geschossen und diesen danach ausgenommen und zerlegt. Die Jagd war auch eine
Spitzenerfahrung für mich! Die Tierwelt in Idaho ist unbeschreiblich! Ich habe Bären, Elche, Hirsche, Berglöwen, Luchse, Klapperschlangen, Bergziegen, Wölfe und Adler gesehen, manchmal sogar in
unserem Garten!
Der Wechsel von meiner ersten zur zweiten Gastfamilie ist mir sehr schwer gefallen, weil ich mich bei ihnen wie ein richtiges Familienmitglied gefühlt und sie sehr ins Herz geschlossen habe. Die
zweite Gastfamilie war aber auch sehr nett. Mein Gastvater ist der Sheriff der Stadt und jetzt mal ehrlich, wer hat schon die Möglichkeit mit einem echten amerikanischen Sheriff zu leben?! So
wurde mir auch das Schießen mit sämtlichen Waffen beigebracht. Für mich ist das Schießen eines AR-15 Maschinengewehrs, welches die Soldaten in Afghanistan haben, mittlerweile nichts Besonderes
mehr.
Meine dritte Gastfamilie lebte außerhalb der Stadt, mitten in einem Canyon, da mein Gastvater der Chef des Forest Service ist und sich hauptsächlich um die Waldbrände in unserer Region kümmert,
die jedes Jahr tausende Hektar Land zerstören. Er hat mir so viele Dinge in der Natur gezeigt und mich auch einmal mit zu einem Waldbrand genommen. Er hat mir Orte in den Bergen gezeigt, die
einfach unbeschreiblich schön waren! Sein Sohn war auch einer meiner besten Freunde, wir waren jeden Tag zusammen und haben sehr viel zusammen unternommen.
Zu meiner vierten Gastfamilie bin ich über meinen guten Freund Hayden gekommen. Er gehörte zu meinem Footballteam und ging mit mir in die gleiche Klasse. Seine Eltern waren sehr an Outdoor
interessiert. Wir haben viele Rafting Touren unternommen, sind Jet Ski und Wasserski gefahren und waren auch oft wandern und campen. Ich hatte nie wirklich Streit mit meinen
Gastfamilien und habe mich immer wohlgefühlt. Auch im Ort habe ich mich immer als Teil der Gemeinschaft gefühlt und nie als Fremder. Aber auch hier denke ich, dass Menschen in einem Dorf oder
einer Kleinstadt einfach viel herzlicher sind und sich auch mehr für ihre Mitmenschen interessieren, als das in Großstädten der Fall ist. Heimweh habe ich auch nur ein Mal gehabt und zwar im
Februar, als in Ostbelgien Karneval gefeiert wurde, also halb so schlimm
Abschließend kann ich sagen, dass Rotary mir das beste Jahr meines Lebens ermöglicht hat. Ich habe Dinge gelernt, die ich sonst nicht hätte lernen können. Ich habe Sachen gemacht, die in Europa
gar nicht möglich gewesen wären. Ich war an Orten, die ich nur aus dem Fernseher kenne und die atemberaubend schön sind! Und ich habe Menschen kennengelernt, die mir sehr wichtig geworden sind.
Außerdem ist Salmon zu meinem zweiten zu Hause geworden und auch meine Gastfamilien werden immer ein Teil meiner Familie bleiben. Ich habe auch gelernt, dass es nicht darauf ankommt, an welchem
Ort man ein Jahr verbringt, sondern was man daraus macht. So lange man offen ist für Neues, kann man an jedem Ort tolle Erfahrungen machen und das beste Jahr überhaupt erleben! Die Dinge aus
einer anderen Sichtweise sehen zu können und zu akzeptieren ist so oder so das Wichtigste in einem Austauschjahr. Man muss sich auf Sachen einlassen können und lernen, dass es nicht nur eine Welt
gibt, so wie wir sie kennen.
Durch Rotary habe ich jetzt Freunde auf der ganzen Welt ! Das hat in meinen Augen einen unschätzbaren Wert und ich hoffe, einige von ihnen in den nächsten Jahren besuchen zu können oder ihnen
meine Heimat zeigen zu können.
Wenn mir jemand sagt, dass dieses Jahr ein verlorenes Jahr war, weil ich es nicht an einer Uni oder Hochschule verbracht habe, kann ich nur sagen, dass ich viel mehr fürs Leben gelernt habe, als
eine Uni mir jemals beibringen könnte. Ich habe dieses eine Jahr gelebt und kann nur sagen, dass es das Beste und Sinnvollste ist, was ein Jugendlicher machen kann!